Ohne die Idee der Selbstbestimmung verliert advokatorisches Handeln ihr Ziel. Ohne advokatorisches Handeln kann sich die Fähigkeit zur Selbstbestimmung nicht ausbilden. Wir werden nämlich nicht mit der Fähigkeit zur Selbstbestimmung geboren. Wir müssen Sie erst erlernen. Dies aber geschieht nur durch Andere, in dem sie für uns da sind. Dieses Für-Uns-Da-Sein zeigt sich nicht nur in der Sorge der Anderen für und um uns. Es äußert sich in deren Feinfühligkeit, deren Vermögen sich in uns hineinzuversetzen und uns ein Bild von uns, unseren Gefühlen, Wünschen, Intentionen, Überzeugungen, Sichtweisen auf die Welt zu spiegeln. Andere, insbesondere unsere primären Bezugspersonen allererst ermöglichen es uns, uns selbst als uns selbst zu erleben und kennenzulernen und so ein Selbst zu bilden, das sich zu sich selbst verhalten und zu etwas bestimmen kann. Dass andere aber für uns die Stimme ergreifen, für uns zur Stimme werden, ist nicht nur wichtig, wenn wir noch keine Stimme haben. Es äußert sich auch darin, dass andere an uns denken, uns vertreten, wenn wir nicht da sind, etwa wenn es um einen Platz, eine Stelle geht, den wir für jemanden freihalten. Andere können uns dabei auch Grenzen setzen, Grenzen zu unserem Schutz und zu unserer Orientierung. Sie können aber auch unsere Entfaltung begrenzen, uns in unseren Entfaltungsmöglichkeiten behindern oder uns gar verleugnen.
Die These dieses Beitrages ist, dass die Spannung zwischen Selbstbestimmung und advokatorischem Handeln als einer Form der Fürsorge nicht nur nicht aufzulösen ist, sondern auch dass diese Spannung produktiv sein kann. Ich möchte nicht nur bedenken, wo advokatorisches Handeln zur Fremdbestimmung führt, sondern zeigen, inwiefern es in diesem Spannungsfeld etwas zu lernen gibt: Zum einen für die Adressat:in der Heilpädagog:in zum anderen aber auch für die Heilpädagog:in selbst.
Nicht ungefragt kann advokatorisches Handeln eine positive Wirkung entfalten. Vielmehr wird advokatorisches Handeln nur dann Individuen zur Selbstbestimmung befähigen können, wo sie auf deren Stimme hört, um deren Selbstbestimmung es geht, d.h. in dem es sich von deren Bedürfnissen bestimmt sein lässt. Dies aber bedeutet, dass dem advokatorischen Handeln immer der Ruf dessen vorausgegangen sein muss, für den es eintreten soll. Andernfalls droht es in sein Gegenteil, in Entmündigung und Fremdbestimmung, umzuschlagen. Zudem schützt es advokatorisch Handelnde vor Projektionen, Übertragungen, hält sie offen für ihr Gegenüber, verhindert, dass eigene Interessen die Wahrnehmung der Interessen des anderen verdrängen, unterdrücken und blind für die Bedürfnisse des anderen machen.
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